Anthero de Quental

1842 – 1891           Portugal

 

 

 

 

In Nachdichtungen von

Wilhelm Storck

 

 

 

I.   Ignoto Deo

 

Giebt’s Erdenschönheit, hoch wie du und hehr,

Der glühen Seel’, erhab’nes Traumgebilde,

Deß Glanz mir endlos strömt in’s Herz, das wilde,

Gleichwie die Sonne widerstrahlt vom Meer?

 

Groß ist die Welt, - drum hast’ ich voll Begehr,

Dich drin zu schau’n, und such’ im Erdgefilde,

Ich Aermster! gläubig einen Gott der Milde;

Doch steht da sein Altar nur – morsch und leer;

 

Nicht sterblich ist was vor dir knie’n mich heißt;

Was bist du hier? Blick voller Güt’ und Klarheit,

Im Becher Gift du Tropfen Honigseim,

 

Urgrund der Thräne, die im Aug’ ergleißt,

Traum meiner Träume! Zeige, bist du Wahrheit,

Dein Wesen wenigstens im ew’gen Heim!

 

 

 

II.   Morgenklage

 

Vom Berge stürzt ein Meer von Glanz und Glast:

Der Tag – Der Bräutigam betritt die Schwelle;

Wo giebt es Kummer noch, den nicht die Helle,

Drein rings die Welt sich taucht, verscheuch’ in Hast?

 

Die Blum’ am Fels, wo kaum sie Wurzel faßt,

Die eis’ge Bucht, der See bewegte Wele,

Kein Ding verweilt an so verlass’ner Selle,

Daß nicht der Himmel Trost ihm biet’ und Rast.

 

Gott ist ja Vater, Vater aller Wesen,

Und seine Huld bedenkt das Groß’ und Kleine:

Er sieht der Kinder Leid von seinem Thron;

 

Hat Allen Gott dies heil’ge Licht erlesen

Zur Freud’ und läßt mir Trauer, mir alleine,

So bin ich Sohn zwar, doch verstoß’ner Sohn.

 

 

 

III.   Huldigung

 

Auf deiner Stirn hat Gottes Hand geruht:

Der Kriegern Kraft und Sängern giebt Gedichte,

Mild blickt’ er auf dich, Huld im Angesichte,

Und sagte: „Tochter, geh, sei schön und gut!“

 

Und niedersteigend auf melod’scher Flut,

Kamst du zum Thal der Thränen und Verzichte,

Ein Stern, verschleiert mit geweihtem Lichte,

Mit deines Blicks verklärter Strahlenglut;

 

Ich aber – kann ich je dir nahesteh’n?

Gott gab dir, Weib, was sonst versagt im Leben:

Engel, er gab dir eine Welt für sich;

 

Mir, dem er Augen gab, um dich zu seh’n,

Nur dich zu seh’n – was ward mir mehr gegeben?

Ein liebend Herz, ein Liedermund für dich.

 

 

 

IV.   Menschenloos

 

Im Leben ist der Freudenbecher schmal;

So tief und weit dagegen wie das Meer

Und ähnlich ihm, an Glücke karg und leer

Ist auf der Welt der bitt’re Kelch der Qual;

 

Doch hegt der Mensch, solang’ im Erdenthal

Er pilgert ungewiß und voll Beschwer,

Trotzdem nach Lieb’ und Freud’ ein heiß Begehr,

Und stets bestimmt dies Hoffen seine Wahl;

 

Gott legt’ Erkenntnisdrang in uns’re Brust

Und stellt’ in’s Leben doch den Sinnentrug:

Wir suchen Licht und finden nichts als Schein;

 

Ward uns im Daseinskampf für Leid und Lust

Empfänglichkeit, war Eins da nicht genug:

Den Wahn belassen oder – nicht verleih’n?

 

 

 

V.   Das Ideal und das Leben

 

Ich nahm die Schönheit wahr, die nicht vergeht,

Und trüb verblieb ich. Wie vom Bergesrande,

Wenn euer Blick betrachtet See’n und Lande,

Ihr Thurm und Schiff und Alles, was besteht,

 

Im Licht verschrumpfen und verschwinden seht:

So ward mir Jegliches im Weltbestande

Farblos, ein Wölkchen, das im Duftgewande

Des Abends wallt und ob dem Meer verweht.

 

Indeß im Schein ich Sein zu seh’n erhoffe,

Irr’ ich in Nacht und stoße mich am Stoffe

Und treff’ auf Unvollkomm’nes weit und breit;

 

Zu Theile wurde mir die Dichtertaufe,

Und mich umgab der Ding’ entstellter Haufe,

Und trüb und bleich verblieb ich allezeit.

 

 

 

VI.   Erhebung

 

Die Tage geh’n dahin, ein leer Getön,

Freudlos und leidlos, und mir ist, als bliebe

Vom inn’ren Feuer nichts als ein Gestiebe

Lichtfunken, die entstünden und entflöh’n;

 

Süß ist das Leben, und die Jugend schön,

Und Liebenden gebricht es nie an Liebe;

Doch hier die Schönheit, weckt sie Sinn’ und Triebe,

Gemahnt an and’re dort in lichten Höh’n;

 

Himmlisches sucht, o Gott, des Herzens Drang:

Und liebt’ ich Irdisches auf kurze Dauer,

So that’s zum ew’gen Vaterland der Hang;

 

Doch gieb Gewähr dem ahnungsvollen Schauer –

Die gieb, und heiter trotz Beschwer und Zwang

Will allezeit ich segnen dann die Trauer.

 

 

 

VII.   Fortuna und Amor

 

Wenn ich vergleiche Ruhm und Gold und Macht.

Was uns Fortuna beut zu Last und Zwange,

Mit Amors Gabe, dem gewalt’gen Drange,

Der Liebe heißt und reine Glut entfacht:

 

So scheint mir Jen’ ein Weib, die mit Bedacht

In sitt’ges Lächeln hüllt die List der Schlange,

Und wer ihr folgt, ein Thor, der nied’rem Hange

Nachgeht und, Die getreu ihn liebt, verlacht;

 

Solch öde Lust – Wahn ist sie voll und ganz,

Und all ihr Glück ist trügerisch und schal,

Ein eit’les Pochen auf verkehrte Triebe;

 

Zwar leiht die Leidenschaft ihr höchsten Glanz,

Wie Leidenschaft sogar verschönt die Qual,

Doch aus der Seel’ entquillt das Glück der Liebe.

 

 

 

VIII.   Psalm

 

Auf Gott gehofft! – Er hat mit Schöpfermacht

Vormals den Stoff, kalt, ungeschlacht und fade,

In kurzer Frist gebildet und aus Gnade

Licht, Kraft, Bewegung, Alles drin entfacht;

 

Der Aermst’ im Geiste wird von ihm bedacht

Mit Lieb’ und Huld; er führt zum rechten Pfade,

Auf daß der Fehl nicht ewiglich ihm schade,

Wer ihn verließ und sank in finst’re Nacht;

 

Und mir, der heiß ich ihn ersehn’ und liebe

Und such’ ein höh’res Sein im ird’schen Frohn,

Mir sollt’ er weigern dieses Ziel der Triebe?

 

Er ruft Verirrt’ und – ich, ich rief’ im Staube

Nach ihm vergebens, ein verstoßner Sohn?

Mein Herr und Vater! Gott! ich hoff’ und glaube.

 

 

 

IX.   Jenseits

 

Im Himmel, wenn ein Himmel, wie man lehrt,

Besteht und stillt die Plagen all und Peinen;

Wenn dort die Liebe sich verklärt zu reinen

Lichtflamme, die erwärmt und nicht verzehrt;

 

Im Himmel, wenn ein Geist, den man verehrt,

Dort wohnt und hört all unser Fleh’n und Weinen,

Ein Vater, dessen Huldgewand die Seinen

Mitleidig deckt, obwohl er mir’s verwehrt;

 

Im Himmel, Jungfrau, heilen Weh’ und Wunde;

Dort werd’ ich neu geboren, der ich hier,

So scheint es, ward geboren bloß für Schmerzen;

 

Dort, Lilie du vom lichten Himmelsgrunde!

Entglüht, indem sie lischt, zu schön’rer Zier

Und ew’gem Glück die Lieb’ in uns’ren Herzen.

 

 

 

X.   Trost

 

Wenn’s Regel ist für uns’ren dunklen Geist,

Daß wir vergebens forschen nach dem Wahren,

Ursach’ und Grund sich nie uns offenbaren

Und jeder Fund zu tief’rem Fall uns reißt:

 

Ist’s Regel auch, die Gram und Pein verheißt,

Daß stets wir spähend nichts erschau’n im Klaren

Und als gewiß und wirklich bloß erfahren

Was voll und faßlich der Verstand erweist;

 

Was bleibt der Seel’ in solchem Trug zur Wahl?

Sie glaubt – und ist von Zweifeln rings umgeben,

Sie sucht –und Irrthum trifft sie fort und fort;

 

Bei Gott allein ist Hülf’ in solcher Qual:

Laß Licht uns hoffen denn im and’ren Leben,

Hier sei’n verbannt wir, heimberechtigt dort!

 

 

 

XI.   Verlassen

 

Einsam! – Den Klausner am Gebirgesrand

Besucht der Herr, ihm Zuversicht zu schenken;

Der Schiffer, den umher die Stürme schwenken,

Hofft günst’ge Fahrt nach wüstem Wogenbrand;

 

Einsam! – Der Siedler am entleg’nen Strand,

Den Sein’gen fern, bewahrt ihr Angedenken

Und hegt Vertrau’n, der Himmel werd’ ihn lenken

Wohin er Nachts verlangt im fremden Land;

 

Einsam! – Der ist es nicht, den noch ein Wille

Beseelt und noch ergreift ein Mißgeschick,

Ein Leid, ein Lieben – oder gar ein Hassen;

 

Doch steh’n gekreuzt die Arme, starr und stille,

Und durch die Menge geh’n mit ödem Blick,

Das heißt vereinsamt sein, das heißt verlassen.

 

 

 

XII.    Jetzt und Dereinst

 

Stets – stets die Zukunft, und die Gegenwart

Niemals! Es sei die Stunde, drin man lebt,

Die trübste stets, von Sorg’ und Schmerz durchbebt,

Und bloß beglückend die man noch erharrt? –

 

Was liegt an Zukunft, wenn sich wie verstarrt

Die Stunde, der man hoffend zugestrebt,

Herschleicht – erscheint – und schmerzenvoll entschwebt?

Giebt’s Hoffnung denn, die nicht uns neckt und narrt?

 

Wahn oder Unglück? – Was du willst und meinst,

Entflieht’s dir, ist es Trug, und bleibt’s besteh’n,

Ein schlimm’rer Spuk – Elend, um das du weinst;

 

So nah’n gemach die Lebenstag’ und geh’n:

Das Jetzt – ein Warten stets auf ein Dereinst,

Und das Dereinst – nur Lug und bitt’re Weh’n.

 

 

 

XIII.    Du und Ich

 

Wie darfst du zweifeln, Weib, an Lieb’ und Leben,

Den Hermon zum Calvariberg verkehrend,

Und, allgemach in Trauer dich verzehrend,

Das feuchte Schweiftuch bang’ um’s Haupt dir weben?

 

Entfloh ein Traum dir, den umsonst mit Beben

Einsam du suchst, jedweder Lust entbehrend?

Ahnt dir ein Schicksal, rauh und herzversehrend,

Daß deine Stirn du senkst, dem Harm ergeben?

 

Nicht doch! Das Glück war treu dir alle Tage;

Gott gab die Schönheit dir zum Angebinde

Und Gnaden viel, die nichts vermag zu rauben;

 

Du zweifelst? Du? – und ich, betrübt und zage,

Der mein Geschick in deinem Blick ich finde,

Was habe, falls du zweifelst, ich zu glauben?

 

 

 

XIV.    Ein sicherer Leitstern

 

Schweig mir von Ruhm! auf and’rem Hochaltar

Anzünd’ ich Opfer in geweihter Stunde

Und spreche gläub’ger mit Gemüth’ und Munde

Gebete dort, inbrünstig, fromm und wahr;

 

Ruhm! beut er denn Anbetenswürd’ges dar?

Qualm, der am Abgrund hängt in weiter Runde –

Giebt von der unermess’nen Lieb’ er Kunde?

Der Trieb – ist nicht jedweden Glücks er baar?

 

Vollkomm’ner ist ein and’rer, hehr und rein,

Ein sich’rer Leitstern auf empörten Meeren,

Von stetem, herrlichem, gewalt’gem Schein;

 

Den will ich suchen, senken mein Begehren

Ganz in der ew’gen Lieb’ erhab’nes Sein

Und nur in diesem Feuer mich verzehren.

 

 

 

XV.   Leben – Leiden

 

Nur Leid ist wirklich, Schmerz allein besteht,

Trugbilder bloß sind Lust und Wohlbehagen;

Glück ist ein Nichts, ein Wahn, der rasch verweht;

Tag, Stund’ und Augenblick erzeugen Plagen;

 

Ihr sucht das Sein, obwohl in solchen Fragen

Licht vom Naturnothwend’gen nicht ergeht;

Nach Glücke, wie’s das Herz ersehnt, zu jagen,

Was frommt’s, als daß ihr tiefbetrübt euch seht?

 

Ach, könnte man die Lebensbahn durchmessen

Im Traum, daß nichts man schaute weit und breit! –

Blieb’ inn’re Schau, wär’ alles Müh’n verloren;

 

Wer so beglückt nur wäre, zu vergessen! –

Doch schliefe damit nicht zugleich das Leid,

Das schlimmste Leid, daß hier man ward geboren!

 

 

 

XVI.    Der liebste Ruhm

 

Ich trachte nicht nach Gunst und Ruhm der Welt;

Was schiert mich Volksgeschwätz, der leere Schwall? –

Gott heute – morgen nichts, ein Federball,

Den Spielens müd’ ein Knabe von sich schnellt;

 

Ein flackernd Licht, deß Schein uns schlecht erhellt,

Ist solch Geschick, - verlor’ner Echoschall;

Je mehr man sucht, so mehr entweicht der Hall,

Taub jedem Schrei, der ihm entgegengellt;

 

Unecht ist jede Blum’ in diesem Kranz,

’s ist eine Spiegelung im Nebeldunst,

Statt Zauberkraft ein öder Firlefanz;

 

Doch kröne du mich; flicht mir ohne Kunst

Lorbeer um’s Haupt, noch baar an Schmuck und Glanz,

Dann siehst du, ob ich liebe Ruhm uns Gunst.

 

 

 

XVII.    An die Freunde

 

Kampf ist umsonst; wie düst’re Nebelschicht

Liegt Ungewißheit überall ergossen;

Der Geist verfällt, und räng’ er unverdrossen,

Allzeit den Maschen, die er selbst verflicht;

 

Sinn und Verstand, auf tausend Plän’ erpicht,

Sind alsobald, wie flücht’ger Rauch, zerflossen;

Der Wille, stets ehrgeizig und entschlossen,

Gleicht doch der Welle, die am Fels Zerbricht;

 

Freunde! die Seel’ ist wie ein Hochgesang

Auf Licht und Freiheit, ist nach Glück ein Streben,

Göttlicher Ahnung voll ein Ruf und Drang;

 

Gleichwohl, - von öder Wüste rings umgeben,

Verhallt ihr Schrei, und mit verstarrtem Zwang

Stumm ruht das Schicksal über Welt und Leben.

 

 

 

XVIII. Verzweiflung

 

Auf düst’rewr Schicksalsschwing’ entweich im Flug,

Du Liebestraum, Spuk einer flücht’gen Stunde,

Den ich im Wahnsinn preßt’ an’s Herz, das wunde,

Zergeh wie leicht Gewölk im Windeszug!

 

Fort was in tiefster Brust mit List und Lug

Jach Wurzel schlägt und saugt mit gier’gem Munde

Das Lebensblut, gleichwie in trautem Bunde

Ein Freund sich mit uns letzt aus einem Krug!

 

Sei denn die Hoffnung bloß ein nicht’ges Scheinen,

Dieweil ihr stets zur Seite steht der Schmerz,

Und bloß das Unglück treu und ohne Tücke!

 

Ach, wär’ es Rache doch, geheim zu weinen!

Verschliefs dich in dich selbst, betrübtes Herz,

Vielleicht daß hoffnungslos du kommst zu Glücke.

 

 

 

XIX.    Beatrix

 

Seit allgemach mir ward zerstückelt und zerfetzt

Das lockende Gewölk, dem gold’ger Glanz entsprühte;

seit jeden Stern ich sah mit bangendem Gemüthe

Am Lebenskimmel bleich und blaß vergeh’n zuletzt;

 

Und seit ich, starr gekreuzt die Arme, sah entsetzt,

Daß Oede mich umgab und nirgend Licht erglühte,

Darnach ich könnte schau’n, und daß sogar die Blüte

In meinem Garten starb, die ich zumeist genetzt:

 

Da wandt’ ich meinen Schritt vom dornigen Gedicke

Nach and’rem Himmelsstrich und lenke nun die Blicke

Zum leuchtenden Gestirn, draus Lieb’ entquillt und rinnt;

 

Sei ohne Furcht! O komm! Lind ist die Luft, und stille

Das Meer, und stumm die Flur, und mein Begehr und Wille –

Mein Wille? Siehst du’s nicht? Weib, komm, o komm geschwind!

 

 

 

XX.    Lebendige Liebe

 

Lieben! jedoch mit Lieb’ in vollster Kraft;

Nicht sei’s das Spiel zaghafter Herzergüsse,

Nicht sei’s der Wahn sehnsüchtiger Genüsse,

Die thöricht ein erhitztes Hirn errafft!

 

Liebe, die brennt und flammt! mit Keim und Saft

Mein Sein erfüllt! – nicht leere Grüß’ und Küsse,

Der Luft vertraut, Frucht schwankender Entschlüsse!

Nein, Liebe sei’s, die Leben hat und schafft!

 

Ja, hell und heiß! die nicht im Morgenlicht

Dem Arm entschlüpft und schweift in alle Ferne

Wie flüchtiger Geträume Nebelschicht, -

 

Und nicht im Mittagsbrande welk zerstiebt, -

Denn was vermag sogar die Macht der Sterne

Gen schwache Liebe, wenn sie lebt und liebt?

 

 

 

XXI.    Besuch

 

Mein Zimmwer schmückt’ ich mit entknospter Karde,

Von Amberduft verstreut’ ich reiche Spenden;

Ich hüllt’ in Seid’ und Purpur Brust und Lenden

Und übte mich in Liedern wie ein Barde;

 

Ich salbte Händ’ und Angesicht mit Narde,

Die fern des Orients Gefild’ entsenden:

Es galt für heimlichen Besuch verwenden

All meinen Schmuck wie eine Königsgarde;

 

War’s eine Fee, ein Fürstenkind, ein Wesen

Aus Himmelshöh’n und hatt’ in selt’ner Weise

Mein dumpf Gemach zum Aufenthalt erlesen? –

 

Nicht Fee, noch Fürstenkind. Es kam, o Holde,

Dein Angedenken kam und pochte leise

Bei meineer Lieb’ an’s Thor aus Licht und Golde.

 

 

 

XXII.    Die Kleine

 

Dich nennt „die Kleine“, wer dir wohlgesinnt,

Und „zart“, wie Schleier hold im Tanze schweben;

Der Name „Fräulein“ wird dir kaum gegeben,

Da dein Gewand noch deutet auf ein Kind;

 

Du bist das Bächlein, rinnend leis’ und lind,

Das Lindenblatt, bewegt vom Windesweben,

Die Brust, die jede Mühe macht erbeben,

Die Stirn, sofort gesenkt, wenn Leid beginnt;

 

Doch im Gebirge, Mädchen, wo ich stand,

Erfüllte mich so sehr mit Angst und Schmerz

Des Alls Geklage rings um Klüft’ und Kuppen,

 

Daß nie ich mag beherrschen Leut’ und Land;

Mein Königreich sei dein getreues Herz,

Mein hör’ges Volk, Geliebte, deine Puppen.

 

 

 

XXIII.     Sulamith.

 

„Was wandelt dort umher im Rebengrund,

Wo Schatten halb das Mondenlicht verstecken?

Leis geht’s und späht bestürzt nach allen Ecken,

Ausathmend sanft und süß wie Kindermund?“ –

 

„Mich weckt’ ein Traum, den selbst ich nicht verstund:

Der Liebste kam, und mich befiel ein Schrecken;

In tiefer Finsterniß, auf wüsten Strecken,

Ja! träumend ahnt wer liebt, versehnt und wund;

 

Töchter des Landes, geht und sagt geschwind

Dem Liebsten, daß ich wär’ in Schlaf gesunken,

Doch könn’ er sorglos sein und frohgesinnt;

 

Denn schlief ich, wie’s mein Brauch, alsbald zur Nacht,

Seht doch: obgleich mein Auge schlummertrunken,

Mein Herz verbleibt stets schlummerlos und wacht.“

 

 

 

 

XXIV.    Traumbild

 

Ich hätt’ ein Eiland – dünkt mich oft im Traum –

Weit weit im Ost als Fürst in meiner Hut:

Balsamisch haucht die Nacht, die Erde ruht,

Im Mondenschein ergleißt der Wellenschaum;

 

Vanillestaude wie Magnolienbaum

Durchwürzt die Kühle nach des Tages Glut;

Schmeichlerisch küßt die leiserregte Flut

Mit Silberwellchen rings der Wälder Saum;

 

Und während ich gedankenvoll vom Rand

Des elf’nen Söllers blick’ auf Meer und Land,

Schweifst du, Geliebte, deinem Hang getreu

 

Im Gartengrund auf lichtbeglänztem Rain

Oder du rastest müd’ im Palmenhain,

Und traulich dir zu Füßen liegt ein Leu.

 

 

 

XXV.    Fünfzehn Jahre

 

Ich liebe der Gebirge Schattennacht,

Die vielverzweigt durch weite Landesstrecken

Aus grauem Fels die wucht’gen Arme recken

Wie Spinnenbeine, wüst und ungeschlacht;

 

Dort schaut das Auge von erhab’ner Wacht

Am Himmelsgrund wie auf dem Meeresbecken

Gebilde zum Entzücken und Erschrecken:

Flutrollen, Wolkenzug und Sternenpracht;

 

Ich liebe Lebenskraft, Gedankenflug,

Größ’, und Geheimniß; hier den Baum, der sehnig

Aus winz’gem Keim aufwuchs in’s Ungemeine;

 

Doch, Kleine, du sei gut! – das ist genug:

Und lieb’ und lächle nur; - das scheint dir wenig?

Klein wünsch’ ich dich, nur dich, du liebe Kleine!

 

 

 

XXVI.    Idylle

 

Wenn Hand in Hand wir beiden geh’n zur Au,

Maßliebchen dort und Veilchen uns zu pflücken,

Und klimmen frischgemuth zum Hügelrücken,

Der noch befeuchtet liegt vom nächt’gen Thau;

 

Oder vom Seegeriff im Dämmergrau

Abendgewölk betrachten voll entzücken,

Wie fern am Horizont es Trümmerstücken

Ähnlich erscheint von einem Riesenbau:

 

Wie oft versinkst du plötzlich dann in Schweigen,

Die Hand erzittert dir, die Wang’ erbleicht,

Dein Aug’ erglänzt so wunderbar und eigen!

 

Gebete murmeln Luft und Meer im Bunde,

Und rings des Weltalls Poesie beschleicht

Unmerklich unser Herz im tiefsten Grunde.

 

 

 

XXVII.    Nocturnus

 

O Geist, der wandeln geht, wenn ob dem Meer

Einschläft der Wind und sich der Mond erhebt,

Schüchterner Sohn der Nacht, die wallt und webt,

Du nur begreifst mein Wehe, tief und schwer;

 

Gleichwie von fern’ allmählich ernst und hehr

Ein Trauerlied zum Ohr herüberschwebt:

So flößest du in’s Herz, das bangt und bebt,

Vergessenheit, mein einziges Begehr;

 

Dir sei’s vertraut, wie ich im Drang nach Licht

Mich mühe, zu zerstreu’n die Nebelschicht,

Im Schein die Wesenheit zu seh’n bedacht;

 

Und du verstehst den namenlosen Schmerz,

Den Wissensdurst, der Hirn verzehrt und Herz,

Du – Keiner sonst – o Genius der Nacht!

 

 

 

XXXIII   Traum

 

Im Traum – oft ist ein Traum kein Trug der Nacht –

Ergriff ein Sturm mich, und im Wirbelreigen

Ließ er empor zum Himmelsraum mich steigen,

Wo stets ein Frühroth glänzt in lichter Pracht;

 

Mich sah die Sternenschaar, die hold bewacht

Den Morgen, wie ich ging in Gram und Schweigen,

Und fragte mich, Mitleid mir zu bezeigen:

Sag’, armer Freund, was uns’re Schwester macht!

 

Doch ich – gesenkt die Augen, weil sie gleich

Die Weh’n verrathen, die mich wild zerplagen –

Ich schlich in Hast vorüber, stumm und bleich;

 

Nicht wagt’ ich’s, den Gestirnen, keusch und scheu,

Deinen Geschwistern, falsches Kind, zu klagen,

Wie ihrer unwerth du und ungetreu.

 

 

 

XXIX.    Bitterkeit

 

Nach dir alleinzig, stets verborg’ner Stern,

Du Traum der Wahrheit und der Liebe Schatten,

Hinschweif’ ich rings mit ängstendem Ermatten,

Mein Herz in mir vergrabend still und gern;

 

Altäre such’ umsonst ich nah und fern,

Ob frommen Wunsch Gewähr sie nicht verstatten;

Ich suche, doch gewinn’ ich nichts, als platten

Hohnspruch für mein Gebet, der Seele Kern;

 

Am Rand der Straße bin ich jetzt gesessen

Und schreie laut, indeß der Wind verweht:

„Was ich geliebt, verweh’ und sei vergessen!“

 

O mein Gemüth, das fest geglaubt an Tugend,

Wie’s einst mit Siechthum wohl und Alter steht,

Wenn dies sich Morgenroth benennt und Jugend!

 

 

 

XXX.    Entsagung

 

Mag Ros’ und Lilie deine Stirn umreih’n,

Dir Liederpreis die Brust mit Wonne schwellen,

Zum Ruhme sich Vergötterung gesellen,

Mein Lieb, du meine Lust und meine Pein!

 

Mag Erd’ und Himmel – Stern’ und Blütenschein,

Würzhauch – die Luft, die Palme – Schattenstellen,

Und, ruh’n im Mondenlicht des Meeres Wellen,

Sein dumpf Geroll dir Traum auf Traum verleih’n!

 

Gedenke nicht an meine Zährenflut –

Vergiß sogar, du seist mein höchstes Gut –

Und wenn du nahst und deinen Blick entrücktest,

 

Sollen dem Thränenthau entsprießen sacht

Viel Blumen dort, daß du sie unbedacht

Zertretest oder lächelnd sie zerpflückest.

 

 

 

XXXI.    Erscheinung

 

Mein Lieb, dereinst – vielleicht in kurzer Zeit,

Das fühl’ ich, weil erschlafft die Pulse gegen –

Wirst du gedenken unter Klag’ und Wehen,

Was scheu ich dir gelobt mit heil’gem Eid;

 

An deinem Pfühl, den kein Gedank’ entweiht,

Beim Dämmerlicht des Lämpchens wirst du sehen

Um Mitternacht mein Schattenbild erstehen,

Das vom Gesetz des Grabes sich befreit;

 

Dann wirst du, Engel, mit Geseufz den Arm

Auf mein Gewand hinstrecken, um zu wissen,

Ob’s wirklich sei, und fleh’n in Gram und Harm:

 

„Bleib und vernimm!“ – Doch taub für deine Pein,

Flieh’n werd’ ich wie ein Traum von deinem Kissen

Und in der Luft verweh’n wie eitel Schein.

 

 

 

XXXII.    Beim Erwachen

 

Im Schlaf zuweilen, wenn ein Traum bezwingt

All mein verlor’nes Leid und Todeszagen,

Gleichwie die Lerche singt, vom Flug getragen,

Entschwebt gen Himmel meine Seel’ und singt;

 

Singt was den Tag mitleidig wiederbringt,

Das Licht, die Morgenglut, den Sonnenwagen,

Und singt der Dinge Reiz und ihr Behagen,

Wie Liebe sie beseligt und beschwingt;

 

Doch plötzlich weht ein Schauer, feucht und kühl,

Und überhaucht den Traum; ein Frostgewühl

Weckt mich; die Nacht ist schwarz und stumm; die Schmerzen

 

Umsteh’n wie sonst mein Lager wüst und wild –

Mein Lied an’s heil’ge Licht, du Engelbild,

Ist nichts als Traum und Traum die Lieb’ im Herzen.

 

 

 

 

XXXIII.   Sei meine Mutter –

 

Mutter – die Trost mir geb’ im Schmerzenbrand,

Mich schütz’ in eis’ger Lebensnacht vor Schaden,

Mir knüpf’ auf’s Neu den halbzerschnitt’nen Faden

Des armen Daseins mit befliss’ner Hand;

 

Mich trag’ im Schlafe fort durch Sumpf und Sand,

In tiefster Finsterniß auf schlimmsten Pfaden,

Und lass’ in ihrem Augenlicht mich baden

Und säubern meiner Seel’ entstellt Gewand: -

 

Ich früge nichts nach Mannesstolz – ich früge

Nach allem Wissen nichts, dem wüsten Dust

Und würd’ ein Kind, zufrieden und gefüge

 

Wie Vogelbrut, gestillt durch Pfleg’ und Futter,

Wofern ich ruhen könnt’ an deiner Brust

Und nennen dich, Geliebte, meine Mutter.

 

 

 

 

XXXIV.    Velnut umbra

 

Rauch und Gewirr. – Abends am Himmelsplan

Steh’n Schlösser buntgefärbt, die weit sich strecken,

Bald züngelnd lichterloh nach allen Ecken,

Bald dampfend wie ein mächtiger Vulkan;

 

Dann zieh’n Gestalten laß auf schwanker Bahn,

Als wären’s träumende, verliebte Gecken –

Seelen, entwallend zwischen Licht und Schrecken

Dort auf dem luft’gen Acheron im Kahn; -

 

Mein Lämpchen lösch’ ich, wenn du deinen Brand

Löschest, o Sol; - dann sind gesammt wir einsam;

Und so vereinsamt schwind’ ich wie ein Hauch!

 

O Wolkenschicht im West, o flücht’ger Tand,

Ich weiß um deine Farbe, weil gemeinsam

Uns Größ’ und Schönheit all zerfließt in Rauch.

 

 

 

 

XXXV.    Mea culpa

 

Ich zweifle nicht, daß stets in gleicher Lage

Harmonisch sich die Welten dreh’n und schweben,

Zum Menschen Stein sich und Insekt erheben

Und aus der Nacht der Mensch entsteigt zum Tage;

 

Gott nenn’ ich nicht Tyrann in thör’ger Klage,

Und nicht den Himmel Nacht nach diesem Leben,

Noch Schatten hier das Wesen und Bestreben,

Zufall – die Ordnung, das Gesetz – Geplage;

 

Mir gilt Natur als Mutter, bis zur Stunde

Als Mutter; - ach, und wenn mit frohem Munde

Ich lächle nie und selten mich geduld’ge;

 

Wenn nichts erscheint, was diese Kält’ erwärme,

Und stets betrübt ich und vergällt mich härme:

Sio scheint es, ich allein – ich bin der Schuld’ge.

 

 

 

 

XXXVI.    Erdenglück

 

Mir träumt, ich fahr’ umirrend ohne Rast,

Ein Paladin der Minne, durch die Lande

Und such’ in Winterfrost’ und Sommerbrande

Ringsher nach Frau Fortunas Wunschpalast;

 

Bereits erlieg’ ich all der Müh’ und Hast,

Am Schwerte Scharten, Riss’ im Stahlgewande:

Da seh’ ich plötzlich fern am Bergesrande

Aufglüh’n der Zinnen Kranz in gold’gem Glast;

 

Hineilend ruf’ ich mit Geschrei und Pochen:

„Ich bin enterbt, verlassen und gebrochen,

Spring auf, erbarme dich, du Thor des Lichts!“

 

Da klafft die Pforte mit gewalt’gem Schlage;

Jedoch im Inn’ren find’ ich Schmerz und Klage,

Schweigen und Finsterniß – und  anders nichts.

 

 

 

XXXVII.    Kein Zweifel

 

Beim Faltennetz der Stirn, die sinnt und denkt,

Beim Forscherblick, der späht und nichts erschaut,

Beim Elend, bei der Hand, die eisig – staut

Und löscht den Stern, der unser Leben lenkt;

 

Beim Qualm des Feuers, das verschmachtend senkt

Die Flamm’ und knisternd stirbt mit Seufzerlaut,

Beim wilden Wehschrei der verlass’nen Braut,

Die Haß empfing wo Liebe sie geschenkt;

 

Bei allem Unheil, allem was der Sten

Der Gruft entzieht dem Blick des Sonnenlichts,

Betheur’ ich dir’s: Mir ward hienieden kund,

 

Mein Kind, du Hoffnungstaube, hold und rein,

Viel Schreckliches, doch so verderblich nichts,

Wie eines Mädchens Lächelblick und Mund.

 

 

 

XXXVIII.   Ideal

 

Das Weib, die all mein Herz erfüllt, besitzt

Kein Lilienweiß, kein Purpurroth der Rose,

Gleicht Venus nicht durch reizendes Gekose,

Noch ist ihr Gliederbau so fein geschnitzt;

 

Ist Circe nicht, die gift’gen Trank verschmitzt

Mit Zauberhand gewinnt aus Kraut und Moose,

Noch Amazone, die im Kampfgetose

Des Renners Mähn’ ergreift, vom Stahl umblitzt;

 

Mich selbst befrag’ ich drum, jedoch mir fehlt

Das Wort, um dies Gebilde zu benennen,

Das mein Geschick bald zeigt und bald verhehlt;

 

Ist’s eine Spiegelung im Himmelsraum?

Ein Ideal? tiefinnerstes Erkennen?

Gewölk? der Sehnsucht unerreichter Traum?

 

 

 

XXXIX.    Zu spät

 

Ach, hätt’ ein Kriegerschwert ich kühn geschwungen

Und mich getummelt muthberauscht im Kampfe,

Wo zitternd Fürst und Volk im Schlachtgestampfe

Den Launen des Geschickes steh’n verdungen!

 

Dann athmeten behaglich meine Lungen

Auf blut’gem Plan in glühem Staub und Dampfe,

Oder ich fiel’ als Held, vom Hufgestampfe

Und Waffenlärm in letzten Schlaf gesungen;

 

Dann säh’ ich nicht das Morgenroth des Lebens

Unnütz verbleichen, noch als Lohn des Strebens

Mir zugetheilt bloß Traumgebild’ und Leid;

 

Und säh’ in meiner Hand, der freudelosen,

Nicht welken allesammt die traur’gen Rosen

Der faden, unfruchtbaren Jugendzeit.

 

 

 

XL.   Ergebung

 

Laß geh’n den Vogel, den um Nest und Brut

Und alles rauh des Frevlers Hand betrogen,

Im öden Luftraum, drein er aufgeflogen,

Endlos und einsam mit gebroch’nem Muth;

 

Laß geh’n das Segel, das der Stürme Wuth

Hinwarf im Wirbel auf empörten Wogen,

Als aus dem Abgrund kam die Nacht gezogen

Und wild der Süd aufthürmte Flut um Flut;

 

Laß geh’n das müde Herz, dem jede Labe,

Glaub’ und Vertrau’n und Friede schwand wie Schaum,

Zum stillen Tode, zum verschwieg’nen Grabe;

 

Laß geh’n das letzte Lied, das letzte Beben

Des Saitenspiels – den letzten Hoffnungstraum –

Und Lieb’ und Leben – laß es geh’n, das Leben!

 

 

 

 

XLI.    Das Unnennbare

 

Gestalt, die wundersam du je und je

Enttauchst der Träume schreckendem Gebrande

Und streifst mir mit dem bauschenden Gewande

Die bleiche Stirn, zerwühlt von Angst und Weh!

 

Dich trägt der Nachthauch über Sund und See, -

Ich frag’ umsonst mit grübelndem Verstande,

Wie dich die Glücklichen in deinem Lande

Benamsen, du gegeimnißvolle Fee!

 

Doch welch ein Loos ist meins! wie muß verglimmen

Dies Morgenroth doch gleich dem Abendlicht,

Wenn trüb Gewölk wir seh’n im West verschwimmen!

 

Daß selbst die Nacht mich nicht beläßt im Wahne!

Daß bloß von fern’ ich und im Traum dich ahne –

Und selbst im Traum nie schaue dein Gesicht!

 

 

 

XLII.    Eine Herzliebste

 

Die ich geliebt, wer weiß, wohin der Wind

Sie all’ entrückte, mir zu Gram und Leide;

Oft streck’ ich Nachts zum Gruß die Arme beide

Und küsse Schemen, die der Traum ersinnt;

 

Doch bitt’rer kränkt – denn ruhig und gelind

Ist Harm um Todte, die ich tief beneide –

daß Mancher naht und zeigt, wie gern er meide

Mein ödes Dasein, das gemach verrinnt;

 

Vom süßen Jugendglück und Frühlingsschein

Kein Röschen mehr, kein Blümchen nenn’ ich mein:

Sturm riß und Kälte fraß an all dem Schönen;

 

Nur du – du bliebest treu; auf mein Gesicht

Lenkst du wie sonst dein Auge, klar und licht,

Um meinen Schmerz zu seh’n und – zu verköhnen.

 

 

 

XLIII.    An ein Weib

 

Du kamst auf diese Welt für Leid und Pein;

Und ließ das Schicksal deine Wieg’ im hellen

Prunksaal am Bett der Königin bestellen

Anstatt des Platzes, wo’s dich rief in’s Sein;

 

Ließ Blüten dir, die’s Glücklichen allein

Und Reichen giebt, um Haupt und Brust entquellen

Und dich Fortunens Günstlingen gesellen:

Dein ward das Loos, das jetzt geworden dein;

 

Dein mußt’ es werden; - im versunk’nen Blicke,

Der nicht der Erd’ entstammt und stumm gemahnt

An grenzenlos unselige Geschicke,

 

In Stimm’ und Wesen, eigen, ernst, beklommen,

In allem seh’ ich was ich längst geahnt:

Für Led und Pein bist du zur Welt gekommen.

 

 

 

XLIV.   Stimme des Herbstes

 

Vernimm, du mein gequältes, müdes Herze,

Was aus der Herbstnatur dir tönt zu Ohren:

Viel besser war’s, du wärest arm geboren

In rauhster Einsamkeit zu Not und Schmerze;

 

Und wärest nackt als Kind auf starrem Erze

Und Stein gelegen, stöhnend und verloren,

Als daß der Schönheit Fee dir hatt’ erkoren

Täuschung zum Wiegenbett in schnödem Scherze;

 

Viel besser war’s dem schwärmenden Gemüthe,

Du hättest kalt und stumm – indeß du säumtest

Von tausend, die du brachst, bei keiner Blüte –

 

Durchwallt die arge Welt, ein bunt Geschäume,

Mit Gram und Groll und Wuth, als daß du träumtest

Die du geträumt – die idealen Träume.

 

 

 

XLV.    Grabstätte.

 

Dort wo das Meer sich bricht am Felsenrand

Eintönig brausend, und in Kluft und Spalt

Der Wind sich fängt und sein Geheul erschallt:

Verscharret dort mein Herz am öden Strand;

 

Aussengen soll es dort der glühe Brand

Der Sonne sommerlang und ohne Halt

Und dann zur Winterzeit des Sturms Gewalt

Dicht überschütten mit gedörrtem Sand;

 

Bis sich’s verwandle ganz in flücht’gen Staub

Und bald, vom Lufthauch fortgerafft als Raub,

Hinfahr’ in Wirbelwind und Sturmgeweh’;

 

Nach Qual und Kampf mit seinem Lebensloos

Und Liebeswahn zerlös’ es sich im Schooß

Der weiten, unfruchtbaren, bitt’ren See.

 

 

 

XLVI.    Wohin?

 

Weil all die Götter alter Zeit in Rauch

Mit all den heil’gen Träumen längst verwehten,

Dolmen und Tempel blieben unbetreten,

Und Kerz’ und Scheit verlosch im Windeshauch;

 

Weil sich der Sinai bewölkt’ und Strauch

Und Kraut verlor sammt Opfern und Gebeten,

Vergessenheit bedeckte die Propheten,

Und ihre Lehre schwand aus Sitt’ und Brauch;

 

Weil sich der Himmel schloß und nimmer kam

Auf Jakobs Leiter und auf Jesu Pfade

Ein Engel mehr zum Trost im Erdengram:

 

So fehlt der Glaubenslilie Luft und Licht;

Gott barg mit seiner Hand den Strahl der Gnade,

Und vor der Welt verhüllt’ er sein Gesicht.

 

 

 

XLVII.    Zwiegespräch

 

Das Kreuz begann zur erde, drauf es stand,

Zum starrenden Gebirg’ und düst’ren Thal:

„Was bist du, Schlund und Käfig, drin die Qual,

Der trotz’ge Kampf, das Wehe nie verschwand?

 

Dein stetes Müh’n, o Sklavin, was erfand

Und schuf es groß und gut nach Art und Zahl?

In Ruhe – bist du Koth, entstellt und schal,

Und in Empörung – Lavagut und Brand;

 

Wor wär’ ein Berg, deß Höhe mir den Sieg

Je könnt’ entzieh’n? ich bin die Lieb’ und Huld,

Nur ich; der Frieden ich, und du der Krieg;

 

Ich Geist und Licht, du Nacht und Trauer nur,

O feiler Schlamm!“ – Die Erde, voll Geduld,

Versetzte drauf: „Kreuz, ich bin die Natur.“

 

 

 

XLVIII.    Mehr Licht!

 

Lieb sei die Nacht dem Prasser, bleich und fahl,

Dem Weiberknecht, nach Sinnenreiz verlänglich,

Und Jedem, der verdumpft und unverdränglich

Zutreibt dem Absturz in’s verlor’ne Thal;

 

Den Troß, - o Luna! mit dem dunst’gen Strahl

Triff ihn, verbirg ihn, mach’ ihn unempfänglich

Für Schmach und Laster, graus und unvergänglich,

Sowie für endlos lange Pein und Qual!

 

Lieb bleibe mir die heil’ge Morgenfrühe,

Der volle Tag, der Leben schafft und nährt,

Des Abends froh Gewühl nach Plag’ und Mühe:

 

Arbeit und Kampf im Licht! und läßt sich melden

Der Tod, so sei ein Blick mir noch gewährt

Zum heit’ren Sol hinauf, dem Freund der Helden!

 

 

 

XLIX.    Befreier Tod

 

In deiner Hand erstrahlt, du düst’rer Held,

Den Stahlgewand umschirmt mit schwarzen Reifen,

Ein mächt’ger Degen aus Kometenschweifen,

Der wie ein Blitz die Finsterniß zerspellt;

 

Umfahrten hältst du, tiefster Nacht gesellt,

Die du entsendest, alles zu ergreifen;

Die helle Kling’ allein mit falben Streifen

Enttaucht der unheilvollen Nebelwelt. –

 

„Die meine Faust umspannt, die lichte Wehr“,

Versetzt der schwarze Ritter ernst und hehr,

„Sie ist das Schwert der Wahrheit ohne Schleier;

 

Wund macht’s und heil, bringt Gram zugleich und Trost,

Wer ihm verfällt, hat Ruh’ und Rast erlost;

Ich bin der Tod; drum bin ich der Befreier.“

 

 

 

L.    Der Tod und die Liebe

 

Das schwarze Roß, deß Trab, sobald sich mild

Der Abend senkt, ich hör’ im Traum mit Schrecken,

Und des Galopp ich sehe Nachts sich strecken

Im Schwarm von Wahngestalten, Bild an Bild;

 

Wo kommt es her? welch heiliges Gefild,

Grausig und groß, durchflog’s? denn Furcht erwecken

Sein Blick und Bau, und Angst und Eile recken

Empor das Mähnenhaar ihm wüst und wild;

 

Ein hohes Weib, die bald in stiller Feier

Glückselig lächelt, bald Verderben droht,

Vertraut sich, leicht umhüllt von losem Schleier,

 

Sorglos des Ungethüms gewalt’gem Triebe:

„Ich bin“, so spricht das schwarze Roß, „der Tod“;

„Und ich“, versetzt die Reiterin, „die Liebe“.

 

 

 

LI.    Stoicismus

 

Der nichts von Hoffnung, Lieb’ und Glauben weiß,

Du finst’rer Geist der ewigen Verneinung,

Dein Hauch befiel die Seele mit Versteinung

Und sengt’ im Inn’ren jedes Frühlingsreis; -

 

Hinwandelnd traumhaft über Frost und Eis,

Wo Nacht und Oede herrschen in Vereinung,

Vernehn’ ich „Nein!“ auf jede Frag’ und Meinung,

Das ewig widerhallt im Sphärenkreis; -

 

Was stöhnst du und beweinst die Qual des Lebens,

Zaghaftes Herz? du richtest doch vergebens

Allzeit der Selbstsucht Klag’ an dein Geschick; -

 

Feiglingen laß, laß Schwärmern das Geträume

Verlor’ner Hoffnung, Schemen all und Schäume; -

Trotze dem Abgrund du mit heit’rem Blick!

 

 

 

LII.    Meine Seele

 

Ich sah den Tod leibhaftig vor mir steh’n,

Ja! vor mir steh’n als ob ein grauser Drache

Aufspräng’ im Hinterhalt und stürzt’ auf schwache

Armsel’ge Wandrer, die des Weges geh’n;

 

Glutodem schien den Nüstern zu entweh’n,

Und zu entsprüh’n den Augen Wuth und Rache:

„Was suchst du“, spach ich, „Wolf, deß tausendfache

Mordlust die Welt hinwürgt trotz Flucht und Fleh’n?“

 

„Sei ohne Furcht!“ versetzt’ er, und der Ton,

Unheimlich fremd, als ob sich drin verhehle

Graunvolles Unheil, klang wie Haß und Hohn;

 

„Nicht deinen Leib – noch hat es keine Noth

mit solchem Raub – ich suche deine Seele!“

„Ach! sagt’ ich, „meine Seel’ ist lange todt.“

 

 

 

LIII.    Sind Götter?

 

Erhebend Arm’ und Blick zum Himmelszelt,

Verklagt die Unsichtbaren blöd’ und bänglich

Der Mensch: „Ihr Götter, starr und unempfänglich,

Wem nützt das Schicksal, das uns kalt zerschellt?

 

Warum erschuft ihr uns? Vorüberschnellt

Die Zeit und zeitigt bloß was unverdränglich:

Schmerz, Sünde, Täuschung, Kampf im überschwenglich

Wahnwitz’gen, wüsten Wirbelwind der Welt;

 

Viel besser wär’s, in öder Friedensruh’

Des Nichts und deß, was nimmer trat zu Tage,

Dumpf und gefühllos schlafen immerzu;

 

Warum doch habt ihr uns zur Qual gemacht?“ –

Doch trauriger verhallt der Götter frage:

„Warum doch habt ihr, Menschen, uns erdacht?“

 

 

 

 

LIV.    Spiritualismus (1)

 

Wie Todesodem und Verderbenshauch

Hinzog der Zweifel durch das Weltgebäude;

Jach ward es Nacht, und rings erstarb die Freude

Auf Erden im vereisten Nebelrauch;

 

Kein Stern am Himmel, keine Blüt’ am Strauch

Gewiegt vom Wind, kein Vogel im Gestäude;

Ein schleichend Gift erzeugte Fäul’ und Räude

In Sein und Leben, Glauben Sitt’ und Brauch;

 

Und in der Nacht, erfüllt mit Graus und Groll,

Die kalt verharrt in Schweigen und entfaltet

Ihr feuchtes Schweißtuch, drin Entsetzen waltet,

 

Keimt bloß ein Blümchen noch geheimnißvoll

Als uns’rer Wesenheit verzagter Kunde

In des Bewußtseins tief verborg’nem Grunde.

 

 

 

LV.    Spiritualismus (2)

 

Schlaf, unbeflecktes Blümchen, schlaf im Eis!

Und still – nun einen Strahl, den letzten hellen,

Bitte die Sonnen, die im All zerschellen,

Verlosch’nen Stirnreif schleppend, siech und greis;

 

Umsonst! des Abgrunds Rachen, hohl und heiß,

Ruft dich, daß rings die starren Lüft’ ergellen;

Dem ew’gen Schlund entsteigt in Wirbelwellen

Urfinsterniß und füllt den Sphärenkreis;

 

Auch du vergehst! wie Hall in dumpfer Kluft

Verklingt im Nachtbereich voll Dunst und Brodem

Dein letztes Ach dir, und dein letzter Duft

 

Zerstiebt im öden Raum des Erdenballs

Wie des Verscheidenden beklomm’ner Odem

Und wie der Sterbehauch des Weltenalls.

 

 

 

LVI.    Gespenster

 

Gespenster, die ihr wacht, wenn kurz und schlecht

Mich Schlaf befällt, und die, geneigt zum Kissen,

Die nächt’ge Rast, von wüstem Traum zerrissen,

Mit Schreck und Angst ihr stets mir unterbrecht!

 

Was hilft’s, daß rein ich leb’ und bin gerecht

Und aus des Schicksals Hand mir ernstbeflissen

Ein Stück Erkenntniß, ein vereinzelt Wissen

Mühsam erbeut’ in täglichem Gefecht:

 

Wenn auf mich starrend mir am Leben saugen

Stets diese traurigen, verfluchten Augen,

Und wenn ich sie, mit Furcht und Fieberglut,

 

Deutlich vergießen fühl’ auf’s Bett hernieder,

Langsam vergießen fühl’ auf Haupt und Glieder

Ungläub’gem Zweifelns frost’ge Thränenflut?

 

 

 

LVII.    An die allerseligste Jungfrau

 

Im nächt’gen Traum, unstet und buntgereiht,

Als Angst mich heiß, unsäglich heiß durchglühte,

Erschien mir dein Gesicht, so reich an Güte,

An – mehr als Güte, reich an Herzeleid;

 

Nicht war es Schönheit erdgebor’ner Maid,

Und nicht der Jugend allgewohnte Blüte; -

Nein! Lieb’ und Licht, ausstrahlend vom Gemüthe,

Wie keins Natur erschuf zu keiner Zeit; -

 

Ein mystisch Weh’ – ein Harren in Geduld,

Sanfte Verzeihung und beseelte Huld,

Der letzten Stunde friedliches Ergeben; -

 

O Bild, du mitleidvolles, trübes Bild!

Sieh stets mich an, so still, verweint und mild,

Und laß verträumen mich das ganze Leben!

 

 

 

LVIII.    An die Nacht

 

Nacht, dir gehört mein Denken, dir allein,

Wenn ich im grassen Licht betracht’ am Tage

All die vergeb’ne Müh’, verlor’ne Plage

Und all die nutzlos überstand’ne Pein; -

 

Du wenigstens erstickst das Weheschrei’n

Das sich entwindet dem Verließ der Klage; -

Das stete Leid, wie sehr es quäl’ und nage,

Schläft und vergißt in dir, obgleich zum Schein; -

 

Ach, daß du selbst, auf ewig unerhellt,

Unwandelbar und unbewußt der Schmerzen,

Schliefst und vergäßest, hergeneigt zur Welt;

 

Und daß die Welt, auf ewig unerwacht,

Schlief’ und vergäße, dir am heil’gen Herzen,

Nacht du des Nichtseins, endelose Nacht!

 

 

 

LIX.    Auf der Fahrt

 

Den schmalen Pfad, wo kaum ein grüner Fleck

Für Blume, Nest und Quell sich kaum gestalten,

Wo Dürr’ und Oede rings den Grund zerspalten

Und Fieberhauch sich lagert im Versteck;

 

Den schmalen Pfad beschritt ich kühn und keck,

Und keck und kühn beschaut’ ich die Gestalten,

Die schemenhaft dem Horizont entwallten,

Daß meinen Starkmuth träfen Angst und Schreck:

 

Wer seid ihr doch, gespensterhafter Pilger?

Gram, Ekel, Trug und Schmerz, die Lustvertilger,

Und lugend hinterdrein die letzte Noth;

 

Ich kenn’ euch wohl: ihr bringt den müden Streiter

Zum Scheideweg; ihr schweigenden Begleiter,

Willkommen denn! auch du willkommen, Tod!

 

 

 

LX.    Innerer Sturm

 

Im Traum an mir vorüber zieh’n Gesichte,

Gespenster meiner eigenen Gedanken,

Wie Schemen, die im Winde weh’n und wanken,

Bis jäh ein Wirbelsturm sie macht zunichte;

 

Sie dreh’n sich knäuelhaft im Nebellichte,

Ich höre wirres Schrei’n, Gelärm und Zanken

Und sehe sie wie Dunstgebilde schwanken;

Doch unterscheid’ ich allesammt die Wichte;

 

Phantasmen ihr, erzeugt in meinem Hirne,

was glotzt ihr starr mich an mit kalter Stirne,

Indeß ihr auftaucht Blasen gleich im See?

 

Wer seid ihr? meine Schergen oder Brüder?

Elend Gezücht, Geschwisterschwarm der Hyder! –

Ich aber, wer bin ich? O weh mir, weh!

 

 

 

LXI.    Nirvâna

 

Jenseits der Welt, fernab vom Sternenheer,

Wo Wandel herrscht und Wechsel, Streit und Streben,

Suchen und Sehnen und Gelärm und Leben:

Da gähnt ein Abgrund, düster, graus und leer;

 

Der Wogenschwall dahier im stürm’schen Meer

Stürzt aufgestaut alldort zurück mit Beben;

Der Unbeweglichkeit anheimgegeben,

Stirbt Sinn und Sein darinnen, träg’ und schwer;

 

Und wenn der Geist, bevor er ganz verhaucht,

Mühselig jenem Todtenreich enttaucht

Und schaut umher die Dinge, schal und schnöde,

 

Im Himmelslicht, unendlich schön und weit:

So sieht vergrämt er rings in Raum und Zeit

Trug nur und Täuschung, Ekel nur und Oede.

 

 

 

LXII.    Entscheidung

 

Ich rief herbei zu meinem frost’gen Pfühl

Die Rückerinnerungen bess’rer Tage,

Nachtschemen, die, geneigt mit leiser Klage

Auf meine Brust, belauschen mein Gefühl;

 

Und sprach: „Im weiten, engen Weltgewühl,

Lohnt sich’s der Mühe, daß man bang’ und zage

Geboren ward? Antwortet auf die Frage,

Ihr Rückerinnerungen, arm und kühl!“ –

 

Drauf wurden unruhvoll sie allzumal

Und standen ganz betrübt und bleich und fahl,

Sogar die heiterste der Jugendfrühe;

 

Dann sprach gelassen gegliche Gestalt,

Um ihren Mund ein Lächeln, krank und kalt,

Und sagte: „Nein! es lohnt sich nicht der Mühe.“

 

 

 

LXIII.    Gesicht

 

Amor erschien mir: matt und freudeleer

Hinschaut’ er starren Blicks, wie Geisteskranke;

Im Auge lag alleinzig der Gedanke

Rastloser Pein und innerster Beschwer;

 

Spukhaft in Lüften stand er, sonder Wehr,

Verhüllt in Nebel die Gestalt, die schlanke;

Als quält’ ihn Marter ohne Halt und Schranke,

Rang er die mag’ren Arme kreuz und quer;

 

Und aus den Schwingen, deren Kraft zerfiel,

Riß den beschmutzten Schmuck er, Kiel für Kiel,

Aufschluchzend oft und laut mit Wuthgeberde,

 

Mit Wuthgeberde, reuelos und graß,

Und des Gespenstes Thränen tropften laß

Und glühendheiß hernieder auf die Erde.

 

 

 

LXIV    Transcendentalismus

 

Schon ruht das Herz nach wildem Kampfgebraus,

Und schon vergönnt mir’s Frieden, seit als Possen

Das Gut ich kenne, drum der Mensch entschlossen

Mit Welt und Schicksal ringt in Streit und Straß;

 

Ich drang zum Innersten im Tempelhaus

Des Sinnentrugs, die Stirn mit Schweiß begossen,

Und sucht’ und fand, mißmuthig und verdrossen,

Nur Staub und Oede, Finsterniß und Graus;

 

Nichts beut die Welt – könnt’ auch das All sich dehnen

Unendlich, wie man’s wähnt im Jugendtraum –

Was uns’rer Seel’ erfüll’ ihr heißes Sehnen;

 

Zum Reich des Unsichtbaren, Unerfaßten

Hinüber Wüst’ und Leere, Zeit und Raum

Auffliegt der Geist, dort leidenfrei zu rasten.

 

 

 

LXV.    Evolution

 

Einst war ich Fels und war in alter Welt

Baum oder Strauch im unbekannten Wald;

Als schäum’ge Welle ward ich ohne Halt

Vom frühsten Feinde, dem Granit zerschellt;

 

Ich brüllt’ als Raubtier, wo zu schatt’gem Zelt

Einhüllten Ginst und Farn den Höhlenspalt,

Und hob als urweltart’ge Mißgestalt

Lässig den wüsten Kopf aus Sund und Belt;

 

Jetzt min ich Mensch – und seh’ im falben Licht

Weithin zu Füßen mir die Stufenschicht,

Die niedersteigt in vielgewundnem Gang;

 

Das Unbegrenzte fragend, wein’ ich still;

Doch, ausgestreckt die Händ’ in’s Leere, - will

Und wünsch’ ich Freiheit bloß aus diesem Zwang.

 

 

 

LXVI.    Lobpreis des Todes

 

Gieb deinen Namen, ernstes Bild, mir kund,

Das schon am Wendepunkt der Straße lauert,

Wenn auf der Fahrt mein Herz erlahmt und trauert,

Von Angst und Ekel übermüd’ und wund;

 

In deinem Aug’ erscheint der Meng’ ein Schlund:

Sie birgt das Antlitz, zittert und erschauert;

Ich traue dir und horche, wenn gekauert

Du rastest, auf ein Wort aus deinem Mund;

 

Bei jedem Schritt ersah in licht’rem Strahle,

O Sohn der Nacht, mein Geist die Ideale,

Die dein gestrenger, starrer Blick mir bot;

 

Dein Busen wird einst meine Schlummertruhe

In Allgemeinschaft ew’ger Friedensruhe,

Du unverletzlicher Befreier Tod!

 

 

 

LXVII.    Betrachtung

 

Mit off’nen Augen träum’ ich hinzugeh’n

Nicht zwischen Formen all des Sinnbefänglichen,

Nein! angesichts des Ewig-Unvergänglichen

Geruhig zwischen Geistern und Idee’n;

 

Vor mir die Welt – was ist sie? Windesweh’n,

Schein ohne Sein, Bruchstücke des Verdränglichen,

Wolken des Täuschenden und Unzulänglichen,

Die ob dem unmeßbaren Schlunde steh’n;

 

Und rings aus Dunst und Nebel hör’ ich tönen

Ein fernes Aechzen bloß, ein leises Stöhnen:

’s ist das Geseufz, die Klage, tief und groß,

 

Der Dinge, die mit Beben und Erbangen

In Nacht und Blindheit lechzen und verlangen

Nach and’rem, bloß geahntem Licht und Loos.

 

 

 

LXVIII.    Lacrimae rerum

 

O Nacht, verschwistert mit Vernunft und Tod,

Wie hab’ ich fragend oft dir nachgehangen,

Auskunft durch dein Orakel zu erlangen,

Vertraute des Geschicks, das Allem droht!

 

Dein Sonnenheer – wem folgt’s auf sein Gebot,

Ruhlosen Seelen gleich in Bann und Bangen?

Und rings der Mensch – was irrt er grambefangen

Und sucht umsonst nach Hülf’ in seiner Noth?

 

Doch im gewalt’gen Leichenzug entführt

Unheimlich, sieghaft, stumm und ungerührt

Die Nacht den Stundenschwarm auf düst’rer Schwinge;

 

Trübsal und Zweifel herrscht im Weltenraum,

Und ich, versunken ganz in tiefsten Traum,

Lausche dem Seufzerlaut der finst’ren Dinge.

 

 

 

LXIX.    Erlösung (1)

 

Stimmen in Meer und Luft, in Thal und Hain,

Wenn mich das mächt’ge Lied aus eurem Munde

Einlullt in schweren Traum zu nächt’ger Stunde,

Dann scheint der mein’gen gleich mir eure Pein;

 

Aufdämmernd Wort im unbewußten Sein

Der stummen Welt, geheimnißvolle Kunde:

Ist dieser Klageton der weiten Runde

Nicht der Natur Geseufz und Weheschrei’n?

 

Die Unermeßlichkeit belebt den Geist;

Die Wechselflucht der Dinge preßt und reißt

Den grausen Freiheitsruf aus allen Kehlen;

 

Mein Herz versteht den fremden Laut der Qual,

Stimmen in Luft und Meer, in Hain und Thal,

Geschwisterseelen, ihr gefang’nen Seelen!

 

 

 

LXX.    Erlösung (2)

 

Klagt nicht, du Hain und Thal, du Luft und Meer,

Vieltön’gen Lärms, ein nie verstummter Reigen

Uralter Stimmen, schmerzerfüllt und eigen,

Als stünde rings und stöhnt’ ein Larvenheer;

 

Den Dämmerschein der Schemen, öd’ und leer,

Durchbrechen sollt ihr einst und hell entsteigen

Dem grausen Traum, deß Ängst’ und Weh’n sich zeigen

In eurem Schrei’n voll Sehnen und Beschwer;

 

Ihr Seelen, noch im Werdekreis befangen,

Zum Selbstbewußtsein sollt ihr dann gelangen

Und ruhend, ein Gedanke klar und rein,

 

Sollt ihr der Täuschung Töchter, die Gestalten,

Verschwunden seh’n wie Töne, die verhallen;

Dann endlich wird beendigt eure Pein.

 

 

 

LXXI.    Innere Stimme

 

Versenkt in ein Geträume, tief und schwer,

Deß düst’re Nacht phantast’sche Blitze lichten,

Hintaumelnd durch ein Volk von Spukgesichten,

Schweift ungestüm mein Denken kreuz und quer;

 

Tobend und tosend, ein empörtes Meer,

Deß Wasserberge himmelauf sich richten,

Im Dämmerschein von Dunst und Nebelschichten

Umkreist mich ruhelos das Weltenheer;

 

Ein ew’ges Ach, ein schmerzliches Gestöhn

Trifft mein Gehör mit dauerndem Gedröhn,

Ein schauderhaft eintöniges Geflute;

 

Im Herzen bloß – ich such’ umsonst den Grund –

Giebt unbewußt sich eine Stimme kund:

Die zeigt mir heimlich und bezeugt das Gute.

 

 

 

LXXII.    Kampf.

 

Still schläft die Nacht, gelehnt an Berg und Bühl:

Ein Friedenstraum, - so steigt in Ruh’ und Schweigen

Der Mond herauf; kein Hauch in Waldgezweigen;

Kein Laut im Thalgelände, feucht und kühl;

 

Doch mich erfüllt mit schauderndem Gefühl

Die Nacht mit ihrem Reiz, so fremd und eigen,

Und wirr wie Nebelduft umwallt ein Reigen

Von Nornen und Gespenstern meinen Pfühl;

 

Ein Räthsel tief und ungelöst! – Erschreckt

Stockt Sinn und Denken, und dahingestreckt

Anstarr’ ich dann, erschlafft von Müh’ und Plage,

 

Ringsum die Schemen unbewußt und stumpf,

Indeß vom öden Strand gedehnt und dumpf

Herschallt, o Meer, dein altes Lied der Klage.

 

 

 

LXXIII.    Unter den Todten.

 

Die ich geliebt, wo sind sie? – Fort, verweht,

Entrafft vom Wirbelsturm nach fernen Räumen,

Zwischen Gespenstern schwebend, wie in Träumen,

Durch’s Weltenall, das jach im Sturz sich dreht;

 

Und ich – indeß mein Fuß gefesselt steht

Vom Schwall und Bann der Fluten, die sich bäumen –

Aufsprühen seh’ ich bloß ein falbes Schäumen,

Draus manch Gesicht auf taucht und drin vergeht;

 

Doch – harr’ ich still und kann das Augenlid

Geschlossen halten: fühl’ ich sie auf’s Neue,

Die ich geliebt, mir nah; das lebt und sieht,

 

Hört und versteht mich, wie ein Freund es thut,

Vereint in alter Lieb’ und heil’ger Treue,

In Geistgemeinschaft mit dem ew’gen Gut.

 

 

LXXIV.    Oceano nox.

 

Am Meere, das in Trauer hohl und rauh

Die Stimm’ erhub, dieweil des Windes Zug

Vorüberstrich, gleich wie Gedankenflug

Bald rasch enteilt, bald zauderst laß und lau;

 

Am Meere saß ich, trüb in’s Wolkengrau

Hinstarrend, dessen Wucht der Himmel trug,

Und dem Gejammer, das an’s Ohr mir schlug,

Nachgrübelnd fragt’ ich Wasser, Luft und Au:

 

„Welch Sehnen übermannt euch Tag und Nacht,

Urstoffgebilde! welch verhohl’ne Macht?

Welch Sein umkreist ihr schwebenden Gewichts?“ –

 

Doch aus dem Weltallsraum, darein sich hüllt

Ewig das Unbewußte, braust und brüllt

Antwort ein Schmerzaufschrei – und weiter nichts.

 

 

 

LXXV.    Geistgemeinschaft

Hinweg mit Klag’ und Harm! Bedenk’ o Herz,

Wie viele vor uns hier im Dunkel schritten

Und ungewiß entsandten Wünsch’ und Bitten

Zum selben Himmel, kalt und hart wie Erz!

 

Glanzlos das Licht, schal Lenzeslust und Scherz!

Doch rangen sie geduld’gen Sinns und stritten

Vertrauensvoll aus inn’rem Trieb und litten,

Im schlichten Glauben stark, Beschwer und Schmerz;

 

Und bin ich mehr als sie? Vergess’ner Massen

Schicksal enthüllt mir meins gewiß und wahr;

Hinwandeln will ich meinen Weg gelassen

 

Mit jenen stummen, freundlichen Gestalten,

Demüth’gen Glaubens gleich der Väterschaar,

In Geistgemeinschaft beigesellt den Alten.

 

 

 

LXXVI.    Solemnia verba

 

Ich sprach: „Da sieh, mein Herz, wie unverdrossen

Unnütze Wege wir gewallt! Betrachte

Hier aus erstarrter Höh’ die ungeschlachte

Einöde, die mit Thränen wir begossen!

 

Sieh! Asch’ und Staub, wo Blatt und Blüt’ entsprossen,

Und Winternacht, wo Frühlingstag uns lachte!

Ja! sieh die Welt danieden und verschmachte

Verzweifelnd, weil du Trug gesä’t und Possen!“ –

 

Jedoch das Herz, starkmuthig längst und sträubig

Und hartgeschult im Leidensgang des Lebens

Und durch gehäufte Qual bedacht und gläubig,

 

Versetzte: „Drunten seh’ ich rings die Liebe;

Ist dies das Leben, war es nicht vergebens,

Und nicht umsonst – enttäuschte Wünsch’ und Triebe.“

 

 

 

LXXVII.    Tröster Tod

 

„Laßt zu mir kommen, die im Kampfe stunden,

Laßt zu mir kommen, die an Troste leer,

Und die vergrämt und kummervoll empfunden,

Daß eitel war ihr Thun und ihr Begehr;

 

Bei mir verheilen ungeschlossne Wunden:

Unglück, Verzweiflung, Leidenschaft, Beschwer;

Der Strom der Qual, den nie ein Damm gebunden,

Zerfließt in mir wie Morgenthau im Meer.“ –

 

So spricht der Tod – verhüllte Wort’ und Laute,

Ausdeutend was kein Sterblicher erschaute,

Zwar kalt und stumm mit ernstem Angesicht,

 

In seiner Stummheit lauter doch und mächt’ger,

Als Meergebraus, und wärmer doch und prächt’ger

In seiner Nacht, als selbst das Tageslicht.

 

 

 

LXXVIII.    In Gottes Hand

 

In Gottes Hand, in seiner rechten Hand

Gewann zuletzt mein Herz ersehnte Rast,

Seit ich des Trugs verzauberten Palast

Auf schmalem Weg mich Schritt für Schritt entwand;

 

Wie welke Blumen, die sich Mädchentand

Zum Schmuck erlas, hinwarf ich all den Glast

Der Schwärmerei und Leidenschaft in Hast,

Irrwahngebilde voller Unbestand;

 

Dem Kinde gleich, am düst’ren Wandertag –

Die Mutter hält’s an ihre Brust gedrückt

Und wallt, beseligt lächelnd, immerzu

 

Durch Sumpf und Wüstenei, Gefild und Hag –

So schlaf, befreites Herz, hinfort beglückt,

In Gottes Hand auf ewig schlaf in Ruh’!